Welche Texte haben Sie persönlich bei der Auswahl der Stücke am stärksten gefesselt ?
Rudolf Kelber:
Es zeigt sich, dass musikalisch und textlich manchmal eine etwas lockere, assoziative, ggf. auch philosophische Reflexion in Anbindung an die jeweilige Situation der Passionsgeschichte gute Wirkung tut. Vielleicht ist sie für den heutigen Hörer einfacher zu schlucken als ein barockes Libretto, das zu nahe am Gegenstand operiert. Es muss nicht unbedingt „das Sündenherz entzwei knirschen“, damit der Passionshörer geläutert nach Hause gehen kann.
So war ich froh, in dem Terzett aus Nr. 54 den folgenden wunderbaren Text eines unbekannten Autors zu finden:
„Es brach ja dein erbarmend Herz, als der Gefallenen Schmerz dich zu uns in die Welt getrieben“
… eine Textpassage, die uns vom anfänglichen Bekenntnis „Ach, wir bekennen unsre Schuld und bitten nichts als deine Huld“, das mit den Vorwürfen der Altrezitative im Dialog steht, langsam weg- und in die Weite des christologischen Mysteriums führt.
Ebenso verhält es sich mit dem Chor „Aller Augen warten auf dich“, der nur auf den ersten Blick zum Abendmahl gehört, sich dann aber zu einer Meditation über das Thema „Augen“ ausweitet und so vom Tischgebet zur einer universalen Reflexion leitet.