Rudolf Kelber:
Im Vergleich zu meiner vor 13 Jahren getätigten Rekonstruktion der Markuspassion , die sich an den Rezitativen von Reinhard Keiser orientierte und auch einige Chöre aus dessen Markuspassion übernahm, war ich bei diesem Projekt um einiges verwegener.
Die Rezitative wurden von vornherein in Bachscher Melodik und Harmonik geschrieben.
Eine große Modulationslinie mit zwei Kurven durchzieht die Reihe von 86 Nummern:
Nr. | 1 | 4 | 5 | 7 | 12 | 15 | 19 | 24 | 31 | 33 | 36 |
Tonart | g | G | e | B | Es | e | A | e | fis | d | g |
Im zweiten Teil gehen die modulatorischen Ausweichungen noch weiter:
Nr. | 37 | 39 | 42 | 44 | 48 | 52 | 54/56 | 58 | 62 | 64 | 67 | 71 | 75 | 80 | 82 | 86 |
Tonart | Es | g | B | a | D | fis | E | F | a | h | c | c | Es | c | As | g |
Der Vorsprung der Markuspassion durch den aus der Trauerode stammenden Eingangs- und Schlusschor, die Choräle und sechs gesicherte Arien war aber doch beträchtlich.
Ein ganz überzeugender Eingangschor wurde mit der Unterlegung von BWV 146 „Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“ mit dem Jesajawort „Fürwahr er trug unsre Krankheit“ gefunden. Als Prolog steht davor die Verzahnung der Kantate „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“ mit dem vom Chor gesungenen Orgelchoral „Christus, der uns selig macht“. Als Schlusschor habe ich den Schlusschor aus der zweiten Fassung der Johannespassion (1725), der auch die Kantate BWV 23 beschließt, gewählt.
Aber man muss sich darüber im Klaren sein: es gibt keinen Ersatz für die Rahmenstücke der Matthäus- und Johannespassion. Solch gewaltige Chöre hat selbst Bach nicht jeden Sonntag geschrieben.
Zwei Anmerkungen der Redaktion:
Hier finden Sie zwei Klangbeispiele aus der Markuspassion:
Eingangschor Geh Jesu, geh zu deiner Pein
Pfui dich, wie fein zerbrichst du den Tempel
(Quelle: Aufnahme von 1999, Edition Jacobi RP14510/11)
Das unterschiedliche Herangehen Rudolf Kelbers an seine Markus- bzw. Lukas-Passion wird auch im Vergleich der beiden "Kreuzige"-Turbachöre deutlich:
Die Markus-Passion enthält eine harmonisch etwas geschärfte Version aus dem Keiser-Oratorium. Für die Lukas-Passion verwendete er den umgearbeiteten und gekürzten Eingangschor von "Ärgre dich, o Seele nicht".