Ein Beitrag von KMD Rudolf Kelber anlässlich der Uraufführung
Autograph von Bach?
Als wichtiger Beweis für die Echtheit der Lukaspassion BWV 246 galt lange Zeit die Überlieferung durch eine von Bach z.T. selbst geschriebene Partitur. Deshalb wurde dieses Stück auf Initiative von Philipp Spitta in die alte Gesamtausgabe übernommen. Aber auch schon im 19. Jh. gab es Gegenstimmen wie die von C. H. Bitter in Beiträge zur Geschichte des Oratoriums und H. Kretzschmar, der das Stück als „liebenswürdiges Denkmal aus der Frühzeit der oratorischen Passion“ bezeichnet. Wolfgang Schmieder fasst im Bach-Werke-Verzeichnis die bis heute übereinstimmende Meinung der Musikwissenschaft zusammen mit dem Urteil „Echtheit mit Recht stark angezweifelt“.
Stilbruch
Diese Passion, die Bach wohl für eine Aufführung kopiert hat, konnte in keiner Weise als Grundlage für meine Arbeit dienen. Ich habe ein Verfahren gewählt, das eher dem von C. P. E. Bach bei seinen Passionsmusiken angewandten entspricht: ein Pasticcio aus Stücken aus dem ungeheuer großen Fundus der Kantaten Bachs schien das geeignete Verfahren zu sein, eine Musik von der Dichte der mit dem Namen Bach verbundenen Erwartungen zu gewinnen, die von der unechten Lukaspassion in keiner Weise eingelöst wird.
Exposition
Die Zielvorstellung war: eine Ausstellung von Originalskulpturen, die in einen passenden stilistischen Zusammenhang präsentiert werden. Die selbst hinzugefügten Rezitative sind dabei Sockel und Postament.
Eine solche Idee, die bei aller Demut mit dem Pfund der lebenslang gewonnenen Erkenntnisse über das Innenleben der Bach`schen Musik zu wuchern weiß, umzusetzen, mag als kunst-gewerblich abgetan werden. Meine Meinung ist aber, dass ein postmodern- „post-adornaler“ Standpunkt die Dinge so neu mischt, dass die alten Kriterien nicht mehr greifen mögen. Und es mag sein, dass jemand, der 50 Jahre zu spät im Stile von Mendelssohn komponiert, weiter danebenliegt, als jemand, der 275 Jahre später im Stile Bachs restauriert bzw. rekonstruiert.
Parodieverfahren
Die Legitimation beziehe ich aus dem Verfahren, das Bach selbst gern angewandt hat, wenn er gute Stücke in einem neuen Zusammenhang wieder verwandte. So bestreitet er nicht nur das Weihnachtsoratorium zu einem großen Teil aus Parodien von (meist weltlichen) Kantaten, sondern auch in der h-moll-Messe gibt es eine ganze Reihe von ursprünglich aus (geistlichen) Kantaten stammenden Sätzen. Die Musiker - Chor, Soli und Orchester - freuen sich jedenfalls auf eine Alternative zu den alljährlichen zwei grandiosen originalen Passionen, deren Qualität unbestritten und unerreichbar bleibt.